Stellungnahme der ÖGSD zum Gesetzesentwurf zur Reformierung der Lehrer:innenbildung

An das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung – legistik-wissenschaft@bmbwf.gv.at und das Präsidium des Nationalrates 

Stellungnahme der Österreichischen Gesellschaft für Sprachendidaktik (ÖGSD) zum Gesetzesentwurf zur Reformierung der Lehrer:innenbildung

Aufgabe der Fachdidaktiken ist es, fachbezogene Bildung sowie Lehren und Lernen im jeweiligen Fach wissenschaftlich zu untersuchen, zu begleiten und weiterzuentwickeln, um eine tragfähige Basis für effizienten und zukunftsorientierten (Fremd-)Sprachenunterricht zu gewährleisten. Für die Österreichische Gesellschaft für Sprachendidaktik (ÖGSD), die Wissenschafter:innen und Praktiker:innen auf nationaler und internationaler Ebene fördert und vernetzt, ist ein durchdachtes Reformkonzept, das sich an aktuellen Qualitätsstandards und Forschungsergebnissen im Bereich der professionellen Lehrer:innenbildung orientiert, daher ein prioritäres Ziel. Dabei sind die Herausforderungen schon aufgrund der Ausgangslage groß:

  • In Österreich bereitet das Lehramtsstudium für die Sekundarstufe auf den Unterricht in 2 Fächern, 9 Jahrgängen und 3 großen Schularten (MS, AHS, BMHS) vor. Dies stellt im internationalen Vergleich ein ungewöhnlich breites Tätigkeitsfeld dar, auf das mittels einer einheitlichen Ausbildung vorbereitet werden soll.
  • Die Reform sieht nun eine Studienverkürzung vor, die sich an den Bedarfen des Pflichtschulbereichs auszurichten scheint. Wie die geplante Verkürzung die derzeitige Lehrer:innenbildung verbessern oder zumindest auf dem gleichen Qualitätsniveau halten kann, erschließt sich nicht, zumal zentrale Faktoren einer Qualitätssicherung nach wissenschaftlichen Standards nicht mitgedacht werden.

Aus unserer Sicht haben junge Akademiker:innen, Lehramtsstudierende und Junglehrer:innen Anspruch auf einen professionell gestalteten und begleiteten sowie stärkenden Bildungsweg, in dem es ausreichend Raum für fachliche Vertiefung, persönliche Reifung und Freude am Studium gibt. Es braucht eine tragfähige, hochqualitative Lehrer:innenbildung, die zukünftige Lehrer:innen inspiriert, damit der Funke der Begeisterung für Bildung und Lernen auf unsere Kinder und Jugendlichen überspringen kann. Auch wenn die pragmatische Zielsetzung einer „mittelfristigen Deckung des Lehrbedarfs an Schulen“ nachvollziehbar ist, muss die qualitative Stärkung der Lehrer:innenbildung vorrangiges Reformziel sein. Österreich braucht dringend einen Innovationsschub im Bildungsbereich, um unsere Gesellschaft langfristig konkurrenzfähig zu machen. Grundlegende Voraussetzungen und Anforderungen sind somit:

  • Dienstrecht und Studienrecht müssen gemeinsam gedacht und reformiert werden, um Unsicherheiten bezüglich der rechtlichen Rahmenbedingungen für den Berufseinstieg (‚Onboarding‘) zu vermeiden. Wie in der Pressemeldung vom 10.1.2024 prominent hervorgehoben, sind dazu “5 Jahre Ausbildung und Masterabschluss für alle” erforderlich. Nur eine zeitgleich in Kraft tretende Dienstrechtsreform kann die intendierte bessere Abstimmung von Studium und Induktionsphase (ibid.) sicherstellen.
  • Die starken Kürzungen der berufsrelevantesten Studienanteile aus Pädagogik und Fachdidaktik sowie der fachdidaktisch und pädagogisch begleiteten Praktika sind zu überdenken, zumal durch die Reform eine Stärkung der Praxisanteile und eine bessere Theorie-Praxis Verschränkung erreicht werden soll (ibid.). Darüber hinaus erschwert die Reduktion der fachwissenschaftlichen Anteile, aus denen in den Sprachenfächern auch Sprachbeherrschungskurse abzudecken sind, eine (fremd-)sprachliche und fachliche Kompetenzentwicklung, die Voraussetzung für einen modernen Sprachenunterricht ist.

Wir möchten daher auf folgende zentrale Punkte der Gesetzesvorlage näher eingehen:

Studienverkürzung, Anerkennungen und Berufseinstieg aus internationaler Sicht

Im Rahmen eines Lehramtsstudiums für die Sekundarstufe werden in Österreich mindestens zwei Fächer studiert, was den Erwerb fachwissenschaftlicher, fachdidaktischer und bildungswissenschaftlicher Kompetenzen sowie deren Transfer in die Schulpraxis erfordert, der forschungsbasiert begleitet und reflektiert werden muss, um Studierende auf qualitätsvolles Unterrichten vorzubereiten. Dass eine wissenschaftsbasierte Lehrkräftebildung, die begleitete Praktika integriert, ausreichend Zeit braucht, aber auch sehr gute Ergebnisse bringt, zeigen internationale Studienergebnisse und der diesbezügliche Diskurs. Jedenfalls ist bei der Bewertung der Dauer der Lehramtsausbildung immer die Induktionsphase bzw. der Berufseinstieg mitzudenken. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass das österreichische Bildungssystem vor allem in der Sekundarstufe über stark spezialisierte Schultypen verfügt, auf die Lehrer:innen vorbereitet werden müssen, um Klassen effizient bis zur Matura begleiten zu können (Hochschulreife der Schüler:innen!). Auch Kinder in Mittelschulen brauchen bestens ausgebildete Lehrpersonen, um von einem innovativen, lernwirksam gestalteten Unterricht bestmöglich zu profitieren.

Unsere Nachbarländer tragen diesen Anforderungen Rechnung: So dauert das Lehramtsstudium in Deutschland für die Sekundarstufe 5 Jahre, woran sich ein 2-jähriges Referendariat anschließt (insgesamt 7 Jahre). Auch die Ausbildung an Maturitätsschulen in der Schweiz umfasst ein volles Fachstudium im Ausmaß von mindestens 5 Jahren, worauf eine fundierte Ausbildung im pädagogischen und didaktischen Bereich folgt. Das Argument, dass durch die Gesetzesnovelle eine Anpassung an internationale Standards erfolgt, ist somit nicht schlüssig. Besorgniserregend ist insbesondere die vorgesehene Anerkennungspflicht von bis zu 20 ECTS aus der Induktionsphase und weiterer Berufstätigkeit im Masterstudium sowie von ‚Microcredentials‘ für non-formale und informelle Lernleistungen (u.a. Teilnahme an ‚kompakten‘ Bildungskursen), die de facto zu einer weiteren Verkürzung der curricular festgesetzten Studiendauer führt. Zudem werden Quer- und Seiteneinstiege forciert, was einer zunehmenden Deprofessionalisierung des Lehrberufs Vorschub leistet und jeglicher wissenschaftlicher Evidenz zuwiderläuft.

Insgesamt sind durch die drastisch reduzierte Dauer und die vorgesehene Anrechnungspraxis Qualitätsverluste in zentralen fachlichen, fachdidaktischen und bildungswissenschaftlichen Kompetenzbereichen ebenso zu erwarten wie eine deutliche Überforderung beim Berufseinstieg. Der offensichtliche Fokus auf die Pflichtschule konterkariert dabei zentrale Ziele des Lehramtsstudiums, u.a. die Befähigung, Schüler:innen der Sekundarstufe zur Hochschulreife zu führen. Zudem ist kritisch zu hinterfragen, ob der Lehrkräftemangel durch die Studienverkürzung tatsächlich behoben werden kann oder ob eher der gegenteilige Effekt eines frühzeitigen Berufsausstiegs ausgelöst wird. Aus unserer Sicht ist eine solide fachliche, fachdidaktische und pädagogische Ausbildung unverzichtbar, um (Jung-)Lehrer:innen für eine langfristige Tätigkeit im Schuldienst zu motivieren und das österreichische Bildungssystem zukunftsfähig und international konkurrenzfähig zu halten.

Dienstrecht, Studienrecht und Studienarchitektur

Mit den letzten Dienstrechtsnovellen und Sonderverträgen wurden diffuse Anstellungsverhältnisse geschaffen, die einen Berufseintritt mit rudimentären, nur teilweise erbrachten Qualifikationen ermöglichen, die innerhalb großzügiger Fristen nachgeholt werden können (u.a. 8 Jahre für den Masterabschluss). Die daraus resultierende Überlagerung von Studium und Berufseinstieg bedingt direkte Auswirkungen des Lehrer:innendienstrechts auf die Gestaltung der Curricula, u.a. wird ein professionsbegleitendes MEd-Studium vorgeschlagen. Die dafür erforderliche Überarbeitung des Dienstrechts wird allerdings lediglich in Aussicht gestellt und bezieht sich auf die Vorbereitung von Schutzmaßnahmen für Junglehrer:innen, die noch keinen Masterabschluss haben (u.a. Einsatz mit maximal einer halben Lehrverpflichtung sowie Wegfall der Übernahme von Klassenvorstandspflichten und fachfremdem Unterricht). Die dringend notwendige akkordierte und zeitnahe Umsetzung dienstrechtlicher Maßnahmen, um der Überforderung von Junglehrer:innen und vor allem von Quer- und Seiteneinsteiger:innen entgegenzuwirken, wird jedoch nicht mitgedacht. Auch die noch ausständige Festlegung dienstrechtlicher Unterschiede zwischen nicht abgeschlossener und abgeschlossener Ausbildung bzw. zwischen BEd und MEd Studienabschluss ist unverzichtbar und daher umgehend zu regeln.

Die Überlagerung von Studium und Berufseinstieg wirkt sich auch auf die wissenschaftlichen Karrieren von Lehramtsstudierenden aus. Der frühe Berufseinstieg und ein viel später zu absolvierendes berufs- oder professionsbegleitendes Masterstudium hemmen eine wissenschaftliche Orientierung. Darüber hinaus erschwert die Reduktion der fachdidaktischen Anteile der Lehrer:innenbildung den Anschluss einer schul-/bildungsbezogenen Forschungsarbeit in Form einer Dissertation. Es ist zu befürchten, dass dieses absehbare Nachwuchsproblem in Verbindung mit dem generellen Mangel an fachdidaktischen Professuren in Österreich zu einer Schwächung der wissenschaftlichen Arbeit in den Fachdidaktiken führen wird.

Neue Pflichtmodule (u.a. Deutsch als Zweitsprache) und Fächerbündel

Wir begrüßen es ausdrücklich, dass der Gesetzesentwurf die Relevanz von Deutsch als Zweitsprache im Lehramtsstudium anerkennt und entsprechende, aus unserer Sicht lange überfällige Maßnahmen setzt. Der Stellungnahme der DaF/DaZ-Kolleg:innen in Österreich schließen wir uns daher explizit an: Basisqualifikationen im Bereich ‚Deutsch als Zweitsprache‘ für alle Lehrpersonen sind auch aus unserer Sicht gesellschaftlich unverzichtbar, um angehende Lehrer:innen für gelebte Mehrsprachigkeit, Vielfalt und Ressourcenvalorisierung zu sensibilisieren und sie auf die sprachliche und kulturelle Heterogenität der Klassenzimmer vorzubereiten. Ebenso unterstützen wir die Einrichtung einer Spezialisierung ‚Deutsch als Zweitsprache‘ anstelle eines Unterrichtsfachs, wobei durch entsprechende dienstrechtliche Vorgaben für Einsatzbereiche von DaZ-Spezialist:innen und durch eine deutliche Aufstockung des DaZ-Personals an Universitäten und Pädagogischen Hochschulen die Voraussetzungen für eine gelingende Umsetzung dieser Spezialisierungsmaßnahmen noch zu schaffen sind.

In Bezug auf die Einführung nicht kohärenter Fächerbündel im Bereich ‚Allgemeinbildung‘, in denen fast alle Fächer frei kombiniert werden können, geben wir zu bedenken, dass diese eine weitere Verkürzung der fachlichen Ausbildung implizieren, wenn für das Studium von drei statt zwei Fächern lediglich ein Ausmaß von 30 zusätzlichen ECTS-Punkten vorgesehen ist. Insbesondere werden MINT und eine Kombination aus Englisch und anderen Fächern vorgeschlagen, wobei die Förderung von Mehrsprachigkeit und die Möglichkeit, Unterricht in anderen Sprachen zu erteilen (CLIL), nicht im Vordergrund stehen. Zudem stellen sich Fragen der studienrechtlichen Durchlässigkeit (Anschlussmöglichkeit eines Master- und Doktoratsstudiums) und der dienstrechtlichen Konsequenzen für Absolvent:innen von Fächerbündeln, was den Unterricht an der AHS und BHS Oberstufe betrifft. Die Argumentation in der Gesetzesvorlage deutet aus unserer Sicht darauf hin, dass nicht kohärente Fächerbündel insbesondere die Vollanstellungen an Mittelschulen fördern und fachfremdem Unterricht entgegenwirken sollen, was eine pragmatische Zielsetzung über eine qualitative Stärkung der Lehrer:innenbildung stellen würde.

Die Mitglieder des Vorstands der Österreichischen Gesellschaft für Sprachendidaktik

Assoz. Prof. Mag. Dr. Michaela Rückl, Didaktik der romanischen Sprachen, Universität Salzburg (Fachbereich Romanistik, School of Education)

Univ.-Prof. Mag. Dr. Julia Hüttner, MSc, Didaktik der Englischen Sprache, Universität Wien (Institut für Anglistik und Amerikanistik, Zentrum für Lehrer*innenbildung)

Mag. Dr. Matthias Prikoszovits, Deutsch als Zweit-/Fremdsprache und Mehrsprachigkeit, Universität Paderborn (Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft)

Mag. Dr. Silvia Rieder-Marschallinger, KPH Wien/Krems

 Dr. Julia Hargaßner, Fachdidaktik Russisch, Universität Salzburg (Fachbereich Slawistik, School of Education)

 Univ.-Prof. Dr. Karen Schramm, Deutsch als Fremdsprache, Universität Wien (Institut für Germanistik)

Mag. Benjamin Fliri, Universität Innsbruck (Institut für Fachdidaktik, Bereich Sprachen)

Mag. Dr. Elisabeth Pölzleitner, Fachdidaktik Englisch und ehemalige Lehrerin und Mentorin an AHS und MS

Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Simona Bartoli-Kucher, Didaktik der romanischen Sprachen und Literaturen, Universität Graz (Institut für Romanistik)

Univ.-Prof. Mag. Dr. Christiane Dalton-Puffer, Universität Wien (Institut für Anglistik und Amerikanistik, Zentrum für Lehrer*innenbildung)

Univ.-Prof. Mag. Mag. Dr. Eva-Maria Hirzinger-Unterrainer, Fremdsprachendidaktik, Universität Innsbruck (Institut für Fachdidaktik, Bereich Sprachen)

Assoz. Prof. Mag. Dr. Markus Oppolzer, Anglophone Literatur- und Kulturdidaktik, Universität Salzburg (Fachbereich Anglistik und Amerikanistik, School of Education)

Dr. Manuela Schlick, Englischdidaktik, Universität Wien (Institut für Anglistik und Amerikanistik, Zentrum für Lehrer*innenbildung)

Februar 2024

Stellungnahme_ÖGSD_5.2.2024