Zum Sprachenlernen verführt? Neue Perspektiven auf Motivation, Differenzierung und Autonomie

Am 3. Dezember 2021 fand unsere Haupttagung mit dem Titel „Zum Sprachenlernen verführt? Neue Perspektiven auf Motivation, Differenzierun und Autonomie“ statt.

Auch wenn die Entscheidung, die ÖGSD-Haupttagung 2021 wieder online durchzuführen, der Planungssicherheit geschuldet war, sind wir bei der Konzeption des Calls davon ausgegangen, auf die Pandemie zurückblicken zu können, in der sich deutlich gezeigt hat, dass sich die Faktoren ‚Motivation‘, ‚Differenzierung‘ und ‚Autonomie‘ ganz entscheidend auf das Sprachenlernen auswirken: Motivierte Lerner_innen, die auf individualisierte Lernangebote zugreifen können, scheinen dabei am besten in der Lage zu sein, autonom zu arbeiten, während andere mitunter auch scheitern. Die Fragen, wie sich diese lernförderlichen Faktoren bedingen und potenzieren und in welchen Lernsettings sie am besten zur Erweiterung mehrsprachiger und mehrkultureller Repertoires beitragen, erschienen vor diesem Hintergrund also nicht nur sehr relevant, sondern erweisen sich weiterhin als höchst aktuell.

Im Rahmen der Tagung konnte mit einer internationalen Teilnehmer_innengruppe im Plenum, in Sektionen und unterstützt durch ein Podium diskutiert werden, wie Sprachenlernende anhand von Formaten wie extensivem Lesen, Gaming und audiovisueller Rezeption in eine Positivspirale hineingezogen werden können. Der Fokus der Beiträge aus dem gesamten amtlich deutschsprachigen Raum lag auf differenzierten Rezeptionsangeboten, durch welche Motivation gesteigert und Schritt für Schritt anspruchsvollere Formen autonomen Lernens aufgebaut werden können.

Den Auftakt gestaltete Petra Kirchhoff (Erfurt) mit ihrem Plenarvortrag zum Thema „Lesen, was das Zeug hält!? Extensives Lesen im digital gestützten Fremdsprachenunterricht“, in dem es ihr gelang, theoretische Grundlagen zum extensiven Lesen kompakt zu kommentieren und anhand vielfältiger Beispiele aus der Unterrichtspraxis zu illustrieren, wie die Lesepraxis als Voraussetzung für ein flüssiges Leseverständnis gesteigert werden kann. Empirische Forschungsergebnisse zur Förderung der Lesekompetenz und digitale Umsetzungsmöglichkeiten rundeten diesen einführenden Beitrag ab. Auch in den anschließenden drei Parallelsektionen, in denen je drei Vorträge vor- und zur Diskussion gestellt wurden, gelang der Theorie-Praxisaustausch, was Raum für Reflexion theoretischer Konzepte im Kontext unterrichtspraktischer Erfahrungen schuf. 

Zum Sektionsthema 1 „Rezeption“, moderiert von Silvia Bauer-Marschallinger und Karen Schramm, trug zunächst Isabelle Udry (Zürich) mit der Vorstellung eines Konzepts zur Förderung von Lesemotivation und Sprachkompetenz von 12-jährigen Schüler_innen durch mehrsprachiges Lesetheater bei. Der Fokus lag auf kooperativem Lernen und individueller Unterstützung als Grundlagen für eine optimierte Berücksichtigung motivationaler Grundbedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit. Der Beitrag von Lynn Williams (Bern & Liestal) plädierte für den Einbezug von authentischen audiovisuellen Texten aus der Lebenswelt der Lernenden, um aktives Zuhören zu stärken. Aktuelle theoretische Perspektiven wurden auch hier anhand von konkreten Unterrichtsbeispielen, -materialien und -aktivitäten reflektiert. Engelbert Thaler (Augsburg) erläuterte schließlich, wie Musik in Kombination mit Lyrik zu einem zeitgemäßen, motivierenden und kommunikativen Fremdsprachenunterricht beitragen kann. Dabei ging er am Beispiel der Singer-Songwriters nicht nur auf Selektionskriterien, Methoden und Aktivitäten zur Förderung spezifischer kommunikativer Kompetenzen ein, sondern hinterfragte auch das Potential des Ansatzes in Bezug auf die Steigerung von Motivation, Individualisierung und Autonomie.

Sektion 2 stand unter dem Motto „Games and digital environments“ und startete mit einem Beitrag von Elena Gallo (München) im Bereich der Italienischdidaktik. Unter dem Titel „Man kann sich reinsteigern!“ zeigte sie Möglichkeiten auf, wie Gamification von Lesematerialien für Anfänger_innen deren Leseverständnis erhöhen kann und lieferte so auch Anregungen für die Praxis. Isabelle Thaler und Benedikt Meininiger berichteten von einer Kooperation zwischen Schule und Universität, die zeigt, wie ein äußerst innovativer Zugang die anfangs eher skeptische Haltung der Schüler_innen einer 9. Schulstufe zu Lyrik grundsätzlich veränderte. Fokussiert wurde das Kernstück dieser Innovation, nämlich der Digital Escape Room, in dem Performance Poetry und Game-Aspekte kreativ verbunden werden. Sonja Brunsmeier (Vechta) widmete sich Lerner_innen im Volksschulalter und zeigte anhand eines Aktionsforschungsprojekts, wie für diese Gruppe ein zeitgemäßer Englischunterricht mit Einsatz digitaler Materialen und Medien erfolgen gestaltet werden kann. Gemeinsam mit den Zuhörer_innen entstanden durch diese anregenden Vorträge interessante Diskussionen über Möglichkeiten und Grenzen der Digitalisierung im Englischunterricht, die von Christiane Dalton-Puffer und Julia Hüttner moderiert wurden. 

In Sektion 3, moderiert von Matthias Prikoszovits und Michaela Rückl, wurden drei Beiträge zum Leitthema „Differenzierung & komplexe Aufgaben“ zusammengeführt. Tanja Greil (Salzburg) legte zunächst den Fokus auf komplexe Aufgaben im Englischunterricht der Sekundarstufe I und präsentierte die Analyseergebnisse von etwa 50 Aufgaben, die Lehramtsstudierende auf Basis des Modells nach Hallet erstellten, um Schüler_innen im elementaren Sprachunterricht zu motivieren und bei der selbstständigen Aufgabenbearbeitung zu unterstützen. Carmen Amerstorfer (Klagenfurt) befasste sich mit Maßnahmen, die Lehrkräfte setzen können, um die Begeisterung von Schüler_innen für das Lernen zu steigern. Dabei ging sie auf die vielfältigen interagierenden Faktoren für Learner-Engagement ebenso ein wie auf praktische Erfahrungen mit Coaching und Selbststudium im Kontext kooperativen Lernens. Stefanie Cajka und Eva Vetter (Wien) schlossen die Sektion mit einem Beitrag zu Risk-Taking ab, das zunehmend mit positiven Auswirkungen auf die Sprachbeherrschung in Verbindung gebracht wird. Ausgehend von einem kompakten Überblick zu theoretischen und pädagogischen Konzepten der Linguistic-Risk-Taking-Initiative mit Blick auf Motivation und Autonomie stellten sie ein Projekt für Deutschlernende in einem österreichischen Universitätskontext vor, das anhand einer Fragebogenstudie und Expert_inneninterviews evaluiert wurde.

Ein sektionsübergreifender Beitrag, moderiert von Michaela Rückl, widmete sich abschließend dem Querschnittsthema Herkunftssprache: Gwendoline Lovey, Bernadette Trommer und Mirjam Egli Cuenat (Solothurn) zeigten hier anhand des Projekts Français pour les bilingues, wie die sprachlichen Ressourcen von Lernenden mit französischer Herkunftssprache im Französischunterricht der Primarstufe durch eine Binnendifferenzierung gefördert werden können, die nicht nur mehr Input bietet, sondern vor allem Aufgabenstellungen und Anforderungen, die bereits auf der Primarstufe mehr Lernautonomie und mehr Individualisierung ermöglichen. 

Abgerundet wurde die Tagung durch eine dem Tagungsthema verpflichtete Podiumsdiskussion mit dem Titel „Motivation, Autonomie und Differenzierung im (Fremd-) Sprachenunterricht: Perspektiven für die Zukunft”, die von Werner Delanoy und Julia Hüttner geleitet wurde. Als Diskussionsteilnehmer_innen konnten Georg Gombos (Klagenfurt), Fares Kayali (Wien), Frauke Matz (Münster) und Manuela Wipperfürth (Wien) gewonnen werden. Die Teilnehmer_innen diskutierten Anforderungen an autonomes Lernen und die Rolle digitaler Medien vor allem im Kontext der Covid19-Pandemie. Besprochen wurde auch, inwieweit das Spannungsfeld zwischen Autonomie und Standardisierung lösbar scheint, inwieweit Literaturunterricht Motivation steigert und inwieweit der Fremdsprachenunterricht Mehrsprachigkeit und mehrsprachige Lerner_innen fördern kann.

Zum Ausklang trafen sich alle Teilnehmer_innen zu einem virtuellen Tagungsumtrunk, eine Gelegenheit, die ein Treffen in Präsenz zwar nicht ersetzen konnte, aber die Möglichkeit zum informellen Austausch bot, um die Tagungsergebnisse zu reflektieren, die insgesamt zeigten, dass sich die sprachendidaktische Forschung stetig weiterentwickelt und sich an aktuell relevanten Handlungserfordernissen ausrichtet.

Hier finden Sie den Tagungsbericht_3.12.2021_KS_MP