Beherzen und behirnen? Zusammenspiel von Emotion und Kognition beim Lernen und Lehren von (Fremd-)Sprachen

Online-Tagung der ÖGSD am Freitag, 2. Dezember 2022  | (14:00 bis 19:00 Uhr)

„Beherzen und behirnen? Zusammenspiel von Emotion und Kognition beim Lernen und Lehren von (Fremd-)Sprachen“ – unter diesem eher ungewöhnlichen und zugleich gewagten Titel fand die ÖGSD-Tagung 2022 im Online-Format statt und bot Mitgliedern der ÖGSD, der Partnerverbände DGFF und ADLES und weiteren Interessierten die Möglichkeit zum wissenschaftlichen Austausch über ein Thema, das – lange Zeit klar außerhalb des Mainstreams verortet – zunehmend mehr Interesse der empirischen Forschung findet.

Von dieser Entwicklung konnte die Plenarsprecherin Pia Resnik (Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems) in ihrem fulminanten Auftaktvortrag das Publikum, das sich aus Österreich, der Schweiz, Deutschland und Italien dazu geschaltet hatte, auf beeindruckend breiter Grundlage empirischer Studien überzeugen. Sie nutzte für das Thema der Emotionen im Fremdsprachenunterricht das Bild des in der Fremdsprachenforschung lange Zeit in Kartesianischer Tradition nicht angesprochenen elephant in the room, der aus ihrer Sicht nun jedoch zusehends in Bewegung kommt, um dann neben das schon länger bekannte und auf Horwitz zurückgehende Konzept der foreign language classroom anxiety den Begriff des foreign language enjoyment zu stellen, das von Dewaele & MacIntyre (2014) eingeführt wurde – nicht als Gegenpol zur foreign language classroom anxiety, sondern als eine weitere Dimension. Ihr fundierter Überblick über neuere theoretische Konzepte, wie das von der auf der Tagung ebenfalls anwesenden Sharona Moskowitz postulierte Konzept der emotional contagion, der gegenseitigen emotionalen ‚Ansteckung‘ von Lehrenden und Lernenden mit positiven und negativen Emotionen, und entsprechende empirische Forschungsarbeiten, u.a. auch zu den Emotionen im Fremdsprachenunterricht im Notstands-Fernmodus pandemischer Zeiten, faszinierte das Publikum. Auch Fragen des Transfers von Emotionen auf fremdsprachliche Identitätsentwürfe, Studien zum emotionalen Einfluss auf das Lernen in E-Tandems und inspirierende Beispiele für Interventionen im Sinne einer positive psychology zugunsten des Wohlergehens von Lehrpersonen und Lernenden wurden im Vortrag angesprochen und anschließend in einer lebhaften Diskussion aufgegriffen, die deutlich machte, dass Pia Resnik bei ihrem glanzvollen Auftritt nicht nur theoretische und empirische Fragen aufgeworfen, sondern auch unterrichtpraktische Perspektiven aufgezeigt hatte.

Anschließend wurde das aufgerissene Themenfeld in zwei Sektionen vertieft, von denen sich die erste unter dem Titel ‚Beherzen und behirnen – Erkenntnisse und Impulse für Lehre und Unterricht‘ stärker der Lehrendenseite widmete. Isabelle Sophie Thaler von der Oxford University stellte eine Fallstudie zu einer angehenden Englischlehrerin in Deutschland vor, die die in einem Interview dokumentierte Planungsphase (cognition for interaction) zu einer Hörverstehenssequenz mit integrierter Strategievermittlung mit der Klassenzimmerbeobachtung der Interaktion (cognition in interaction) und einem nachgelagerten Interview zur Transformation der lehrendenseitigen Kognition aufgrund der Unterrichtserfahrungen (cognition on interaction) in schlüssiger Weise verband. Delia Aroldi von der Universität Udine stellte nach einem Exkurs zur Bedeutung der Verbindung von Kognition und Emotion in aktuellen Sprachenlehr-/lernansätzen bildbasierte Unterrichtsmaterialien für junge Erwachsene mit Deutsch als Erstsprache zur Diskussion, anhand derer insbesondere Bewegungsausdrücke im Italienischen verbessert und erweitert werden können. Auf dieser Basis zeigte sie Perspektiven für eine Didaktik auf, in der Kognition und Emotion integrativ aufeinander bezogen sind, um Lernende zum Nachdenken über Sprachstrukturen anzuregen und gleichzeitig ihre Fantasie und Kreativität zu fördern. Gudrun Kasberger beleuchtete in ihrem Vortrag den Zusammenhang von Emotion und Sprache, Emotion und Bildung sowie auch Emotion und Reflexion. Sie führte ihr Publikum kenntnisreich in die Emotionslinguistik ein und stellte mit ihrem Vorschlag, critical emotional incidents in der Lehrer:innenbildung (beispielsweise bei der Portfolioarbeit) zu nutzen, das Sachlichkeitspostulat der Bildung in Frage. An Datenbeispielen aus einer noch laufenden Untersuchung konnte sie zeigen, wie positive oder negative Emotionen als irritative Momente tiefere Reflexionsprozesse auslösen können.

Die zweite Sektion unter dem Titel ‚Beherzen und Behirnen – (Kompetenz-)Erleben aus der Perspektive der Lernenden‘ fokussierte auf Wahrnehmungen und Emotionen der Lernenden in verschiedenen Kontexten. Den Auftakt gestaltete Brenda Sänger aus der Universität Paderborn, die ihre qualitative Interviewstudie zum emotionalen Empfinden der wachsenden Gruppe internationaler Studierenden im deutschsprachigen Raum präsentierte. Sie zeigte, wie die Verwendung des Deutschen in Gruppen mit mehrheitlich Muttersprachler:innen bei internationalen Studierenden unterschiedliche Gefühle, wie Angst, Ärger, aber auch Stolz, hervorruft. Der Vortrag des Teams aus der pädagogischen Hochschule Kärnten, bestehend aus Sabine Buchwald, Eva Kristina Hartmann und Daniel Wutti, widmete sich den Emotionen, die sprachliche Lernerfahrungen slowenischsprachiger Schüler:innen in Kärtnen/Koroŝka auslösen können. Dabei wurde der Zusammenhang zwischen der selbsteingeschätzten Sprachkompetenz in beiden Sprachen und einer ganzen Bandbreite an unterschiedlichen Emotionen transparent.  Der englischsprachige Beitrag von Sharona Moskowitz (Birkbeck College der University of London) fokussierte die Emotion der Intellectual Humilty (IH) und deren Korrelation mit anderen Faktoren, wie foreign language enjoyment und foreign language anxiety. Es konnte gezeigt werden, dass Unterkategorien der IH, wie overconfidence oder openness to other opinions durchaus spezifisch mit der Freude bzw. Angst beim Fremdsprachenlernen zusammenhängen. Den letzten Vortrag dieser Sektion, der aus Zeitgründen im Vorfeld aufgenommen wurde, gestaltete Eva Seidl (Universität Graz). Sie stellte ein Lehr-/Lernkonzept vor, das den Umgang mit fachwissenschaftlicher Literatur in der translationsorientierten universitären Sprachlehre im Fokus hatte, und diskutierte dabei Aspekte, die die Ausbildung einer translatorischen Identität fördern.   

Den dritten Teil bildeten zwei Workshops zur Implementierung in den Unterricht, die insbesondere auch auf praxisinteressierte Tagungsteilnehmer:innen ausgerichtet waren. Im ersten Workshop präsentierte Elisabeth Pölzleitner nach einem kurzen und prägnanten Überblick zu wichtigen Erkenntnissen der Neurowissenschaften, Psychologie und Pädagogik Beispiele aus dem Unterricht, anhand deren sie eindrücklich zeigen konnte, wie Elemente autonomen Lernens die Lernfreude steigern und dadurch zu bemerkenswerten Lernergebnissen führen können. Besonderes Augenmerk legte sie auf Lerngelegenheiten, die Erfolgserlebnisse ermöglichen, um eine dauerhafte „Dopaminspirale“ anzukurbeln. Wie dies im Unterricht erfolgreich umgesetzt werden kann, wurde anhand mehrerer praxiserprobter Aktivitäten und digitaler Tools veranschaulicht, die von Schüler:innen zwar herausfordernd aber lohnend erlebt werden.

 Im zweiten Workshop präsentierten Michaela Rückl und Katharina Pollak (Universität Salzburg) unter dem Titel ‚Spaß mit Sprachen‘ im interaktiven Format unter Rückgriff auf Mentimeter und learning apps Lernmaterialien für einen ressourcenvalorisierenden Einstieg in den Unterricht romanischer Sprachen in der Sekundarstufe I. Daraus wurde deutlich, wie durch kognitiv anregende offene Fragen zum Entdecken von Sprachen und zur Mehrsprachigkeit positive Emotionen, wie Lernfreude und Kompetenzerleben, geweckt und Herkunftssprachen sowie vorgelernte Fremdsprachen in der gesamten Gruppe als wertvoll erlebt werden können. Das Feedback der Schüler:innen, die mit den vorgestellten Materialien in der Praxis gearbeitet haben, weist in dieselbe Richtung.

Zum Abschluss der auf kognitiver und emotiver Ebene gleichermaßen anregenden und gelungenen Tagung präsentierten Matthias Prikoszovits und Julia Hargaßner den gewissermaßen ‚frisch gedruckten‘ Online-Nachwuchstagungsband mit zehn Beiträgen aus Romanistik, Germanistik-DaF/DaZ und Anglistik, die das Interessensspektrum der jüngeren Generation von Fremdsprachenforscher:innen in Österreich dokumentieren (abrufbar unter: https://www.oegsd.at/2022/11/07/2022-nachwuchstagung-bericht-und-extended-abstracts/; Herausgeber:innen: Benjamin Fliri, Katrin Hofmann, Daniele Polizio, Matthias Prikoszovits).

Die Obfrau Michael Rückl verwies vor dem abschließenden digitalen Tagungsumtrunk auch auf die für Mai 2023 geplante nächste Nachwuchstagung der ÖGSD in Klagenfurt unter Leitung von Carmen M. Amerstorfer und dankte dem Organisationsteam, in dem neben ihr auch Silvia Bauer-Marschallinger, Julia Hargaßner, Julia Hüttner, Matthias Prikoszovits, Manuela Schlick und Karen Schramm mitgewirkt hatten.

Bericht zur ÖGSD-Haupttagung_2.12.2022

Organisationsteam des Vorstands
der Österreichischen Gesellschaft für Sprachendidaktik – www.oegsd.at

Silvia Bauer-Marschallinger (KPH Wien / Krems), Julia Hargaßner (Universität Salzburg),
Julia Hüttner (Universität Wien), Manuela Schlick (Universität Wien), Elisabeth Pölzleitner (Universität und PH Graz), Matthias Prikoszovits (Universität Wien), Michaela Rückl (Universität Salzburg), Karen Schramm (Universität Wien).

Hier finden Sie das Programm und die Abstracts der Vorträge und Workshops.

Hier finden Sie das Poster zum Ausdrucken.